Autofrei genutzter Straßenraum in Barcelona-Superblocks
Tagungsbericht

Mobilitätswende als umfassendes städtisches Transformationsprojekt

Ausgehend von den Superblocks in Barcelona setzen sich in immer mehr europäischen Städten Konzepte zur Umgestaltung des Straßenraums durch. Sie stellen nicht das Auto, sondern die Menschen in den Mittelpunkt und geben Impulse auch für deutsche Städte.

Städte lebenswert und klimaresilient machen, darum ging es beim ersten internationalen, gemeinsam vom Difu, weiteren Partnern des Projekts TuneOurBlock sowie der Stadt Barcelona initiierten Meeting. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf dem Erfahrungsaustausch zu der Umsetzung von Superblocks. Vertreter*innen folgender Städte nahmen vom 22.-25. März teil: Barcelona, Berlin, Brüssel, Gent, Kopenhagen, Ljubljana, Lodz, London, Mailand, Paris, Rotterdam, Wien, Valencia, Vitoria-Gasteiz und Zürich. Die anwesenden politischen Stadtrepräsentant*innen unterzeichneten ein gemeinsames Agreement für ein neues „Verständnis von öffentlichem Raum“.

All diesen Städten ist gemeinsam, dass sie mit recht unterschiedlichen Konzepten versuchen, den städtischen Straßenraum umzugestalten, weniger das Auto als vielmehr den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Öffentlicher Verkehr und aktive Mobilität erhalten Vorrang vor dem privaten Autoverkehr, der öffentliche Straßenraum wird umgebaut, Straßen werden grüner, attraktiver und sicherer. In diesem Kontext ist Barcelona europaweit mit seinen Superblocks ein Impulsgeber für andere Kommunen.

Erfolgsgeschichte begann in spanischen Städten

Was können deutsche Städte lernen? Die Superblocks sind Herzstück eines 2016 von der Stadtverwaltung entwickelten Konzepts, das inzwischen nicht nur in Barcelona, sondern auch in Vitoria-Gasteiz und Valencia Karriere macht. Der erste Superblock entstand 2017 im Stadtviertel Poblenou, inzwischen sind mindestens sechs neue Superblocks hinzugekommen, und es werden jedes Jahr mehr. Beeindruckt haben die Strategie, das Engagement und die Konsequenz, mit der die „Superillas“ in Barcelona ausgerollt werden:

  • Das übergeordnete Narrativ stellt weniger die Verkehrspolitik, sondern die Lebensqualität, die Gesundheit, das soziale Miteinander der Bevölkerung und die Qualitäten des öffentlichen Raumes in den Mittelpunkt.
  • Mit der Bürgermeisterin Ada Colau gibt es nicht nur eine starke politische Rückendeckung für das Konzept, sondern auch ein junges, hochmotiviertes, interdisziplinär zusammengesetztes Team in der Verwaltung, das die Umsetzung verantwortet.
  • Anders als in deutschen Städten sind an der Umsetzung nicht allein Verkehrs-, sondern Stadt-, Freiraumplanende und Architekt*innen beteiligt. Es gibt ein professionelles einheitliches Design. Superblocks haben nicht die Anmutung von Pollern und anderen Provisorien, sondern sie sind selbst in der temporären Phase optisch und von der Möblierung her werthaltig gestaltet.
  • Es gibt eine systematische Umsetzungsstrategie, die die Versäumnisse der ersten Superblocks aufgreift. Begonnen wird mit temporären Maßnahmen und inzwischen mit einer umfassenden Beteiligung und Kommunikation. Der Straßenraum vor Schulen und Kindertagesstätten, den vulnerabelsten Gruppen, wird prioritär umgestaltet. Ein Erdgeschossmanagement hilft, Bedenken der gewerblichen Anlieger auszuräumen. Erst wenn eine breite Akzeptanz vorhanden ist, wird der Straßenraum dauerhaft umgebaut.
Kinder nutzen die Straße in Barcelonas Superblocks zum Spielen
Kinder nutzen die Straße in Barcelonas Superblocks zum Spielen

Nachweislich erfolgreiche Verkehrsverlagerung

Zugegeben: In Barcelona ist der Handlungsdruck hoch. Die Stadt leidet am Verkehr, an dichter Bebauung, zu starker Lärmbelastung und Luftverschmutzung. Auf eine*n Einwohner*in Barcelonas kommen statistisch gesehen 6,6 Quadratmeter Grünfläche, in den Innenstadtviertel nur 1,85. Zum Vergleich: In London sind es 27, in Amsterdam sogar 87,5 Quadratmeter. Aber auch in Barcelona stoßen die Maßnahmen nicht auf ungeteilte Zustimmung. Anwohnende beklagen die Umwege, die nötig sind, um mit Fahrzeugen Ziele innerhalb von Superblocks zu erreichen. Der Einzelhandel befürchtet Umsatzeinbußen, es wird der Zuwachs des Verkehrs auf den umliegenden Hauptverkehrsstraßen kritisiert. Diese Bedenken kamen insbesondere bei den ersten Superblocks auf, inzwischen finden diese in der Bevölkerung eine breite Zustimmung, die meisten würden gerne im Innern eines Superblocks wohnen. Und viele Gegenargumente können inzwischen nachweisbar entkräftet werden. In den bisher gestalteten Superblocks ist das befürchtete Geschäftssterben ausgeblieben. Im Gegenteil: Die Anzahl der lokalen Läden stieg deutlich an. Messungen zur Verlagerung des Verkehrs belegen in einzelnen Straßen eine Zunahme, in anderen wiederum hat sich nichts verändert. Insgesamt ist in keinem Bereich um die Superblocks der Verkehr zusammengebrochen, vielleicht auch deshalb, weil sich das Mobilitätsverhalten insgesamt verändert hat. Signifikant mehr Menschen sind nun mit Rad und zu Fuß im unmittelbaren Wohnumfeld unterwegs.

 

Evaluation der Wirkungen im Superblock Sant Antoni

Evaluation der Wirkungen im Superblock Sant Antoni
Evaluation der Wirkungen im Superblock Sant Antoni

Link zur Quelle: s.S.160

 

"Low Traffic Neighbourhoods" in London

Von diesen Herausforderungen, aber auch von positiven Effekten berichteten die anderen teilnehmenden Städte. In London wurde während der Corona-Pandemie eine große Anzahl von „Low Traffic Neighbourhoods“ in verschiedenen Stadtbezirken umgesetzt. Am Beispiel des Bezirks Lambeth wird deutlich, wie Grundprinzipien von Barcelonas „Superblocks“ auch in weniger dicht bebauten Gebieten am Stadtrand funktionieren. Mit großen Blumenkübeln und Pollern wurde der Durchgangsverkehr unterbunden. Die Effekte waren schnell deutlich sichtbar: mehr Radverkehr, weniger Unfälle, weniger Lärm und bessere Luftqualität. Auch der Verkehr auf den Hauptstraßen kam nicht zum Erliegen.

Die belgische Stadt Gent mit 260.000 Einwohner*innen zeigte eindrucksvoll, dass diese Konzepte kein reines Metropolenthema sind. Mit dem „Circulation Plan“ wurde die Altstadt 2017 in sechs Zonen eingeteilt, in die man zwar einfahren, sie aber nicht durchfahren kann. Begleitet wurde dieser verkehrliche Eingriff von temporären und permanenten stadtgestalterischen Maßnahmen. Parkflächen wurden entsiegelt, Straßen als Fußgänger*innen-Zonen ausgewiesen und neue Flächen für Aufenthalt und aktive Mobilität geschaffen. Auch der ÖPNV wurde massiv ausgebaut. Nach anfänglicher Skepsis und Widerstand sprechen die kurz- und langfristigen Effekte für sich. Kurzfristig konnte die Stadt

  • 60 % mehr Radverkehr,
  • 12 % mehr ÖPNV-Nutzung,
  • 35 % weniger Unfälle sowie
  • 60 % weniger Durchgangsverkehr messen.

Auch langfristig zahlen sich die Maßnahmen aus: Seit 2015 ist in Gent die Pkw-Besitzquote von 1,2 auf 1,0 gesunken. An die Erfolge in der Altstadt von Gent möchte die Stadt nun mit den „Neighbourhood Circulation Plans“ anknüpfen. Jedes der sieben Randquartiere soll nach dem innerstädtischen Vorbild umgestaltet werden. Den drei Leitzielen „weniger Durchgangsverkehr”, „verbesserte Verkehrssicherheit“ und „verbesserte Lebensqualität“ folgend, werden die Maßnahmen mit den Menschen vor Ort entwickelt.