Umsturz bei der Wettervorhersage: Modelle mit künstlicher Intelligenz holen die herkömmlichen Vorhersagemodelle ein

In zwei Studien präsentieren chinesische Fachleute für das maschinelle Lernen ihre neusten Prognosemodelle für das Wetter. Wettermodellierer sind von deren Leistung beeindruckt.

Sven Titz 4 min
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In herkömmliche Modelle zur Wettervorhersage fliessen weltweite Messungen ein. Dazu zählen auch Messungen mithilfe von Satelliten. Die Aufnahme zeigt den Erdball mit Hurrikan Ian am 26. September 2022.

In herkömmliche Modelle zur Wettervorhersage fliessen weltweite Messungen ein. Dazu zählen auch Messungen mithilfe von Satelliten. Die Aufnahme zeigt den Erdball mit Hurrikan Ian am 26. September 2022.

Noaa / Imago

Bei der Wettervorhersage findet Fortschritt normalerweise im gemächlichen Tempo statt. Bis eine neue Methode Einzug hält und akzeptiert wird, dauert es oft viele Jahre. Jetzt aber nehmen Wissenschafter Worte in den Mund wie «möglicher Paradigmenwechsel» oder «bevorstehender Durchbruch».

Der Grund für die Aufregung sind die Methoden des maschinellen Lernens, welche zur künstlichen Intelligenz gezählt werden. Diese Methoden wurden in den vergangenen Jahren so rasch verfeinert, dass sie nun anfangen, den herkömmlichen Modellen zur Wettervorhersage Konkurrenz zu machen.

Modelle des maschinellen Lernens werden konkurrenzfähig

In zwei Studien, die im Wissenschaftsmagazin «Nature» zu lesen sind, beschreiben chinesische Fachleute jetzt neue Modelle zur Wetterprognose, die mit maschinellem Lernen arbeiten. Das eine Modell kann Niederschlag für die kommenden drei Stunden vorhersagen, das andere eignet sich dazu, Wetterprognosen für bis zu eine Woche zu erstellen.

Die Ergebnisse können sich nicht einfach nur sehen lassen, sondern sie sind zum Teil aussergewöhnlich gut.

Bemerkenswert ist vor allem das Modell für einwöchige Wettervorhersagen. «Pangu-Weather» haben es seine Erfinder genannt, die sämtlich bei Huawei Cloud arbeiten, einer Geschäftseinheit von Huawei in Shenzhen. Die Autoren haben ihr Modell mit dem derzeit weltbesten Prognosemodell verglichen, das am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) mit Hauptsitz in Reading, England, betrieben wird. Laut der Studie sind die Vorhersagen von Pangu-Weather – zum Beispiel von Temperatur, Luftdruck oder Wind – mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar ein wenig treffsicherer.

Dass Pangu-Weather an das EZMW-Modell herankomme, sei beeindruckend, sagt Peter Dueben. Der deutsche Physiker leitet die Abteilung für Erdsystemmodellierung an dem europäischen Wetterzentrum.

Modelle mit künstlicher Intelligenz wurden unterschätzt

Um zu verstehen, wie bedeutsam die Entwicklung ist, muss man ein paar Jahre zurückgehen. Wie Dueben erzählt, fingen 2018 die ersten Gruppen damit an, Modelle des maschinellen Lernens mit Beobachtungsdaten zu füttern und daraus globale Modelle zur Wettervorhersage zu bauen. «Das haben die Wetterzentren und viele Wissenschafter aber nicht ernst genommen», sagt der Physiker.

In den letzten Monaten erschienen dann in rascher Folge immer neue Studien zu dem Thema. Bei ihm sei im Dezember 2022 der Groschen gefallen, sagt Dueben. Als Deep Mind von Google so ein Modell vorgestellt habe, habe er gemerkt, dass die neuen Modelle wirklich besser geworden seien. Sie hätten einen Punkt erreicht, wo sie in manchen Bereichen mit den konventionellen Modellen mithalten könnten. In einigen Aspekten könnten sie diese sogar auf Weltklasseniveau schlagen.

Konventionelle Vorhersagemodelle gründen auf physikalisch-mathematischen Gleichungen, welche im Detail beschreiben, wie sich das Wetter verändert. Beginnend mit Messwerten von Temperatur, Luftdruck und weiteren Grössen lösen Supercomputer diese Gleichungen und spucken am Ende Prognosen aus.

Modelle des maschinellen Lernens hingegen sind völlig kenntnisfrei, was die Physik angeht. «Sie lernen alles aus Daten», sagt Dueben. Trainiert werden diese Modelle anhand von Daten, die aus einer rechnerischen Kombination von herkömmlichen Modellsimulationen mit Messdaten stammen.

Das Wetter lässt sich viel schneller vorhersagen

Einer der Vorteile der neuen Vorhersagemodelle liegt darin, dass man mit ihnen schneller rechnen kann als mit herkömmlichen Modellen – tausend- bis zehntausendmal so schnell. Das liegt unter anderem daran, dass sie viel simpler aufgebaut sind. Das Hauptmodell des EZMW hat eine Million Zeilen Programmiercodes, während Modelle des maschinellen Lernens wie Pangu-Weather mit einigen tausend Zeilen auskommen.

Oliver Fuhrer, der Leiter der Abteilung Prognosemodelle von Meteo Schweiz, sieht die Stärke der neuen Vorhersagemethoden im Kurz- und Mittelfristbereich, wo es um Vorhersagen von Stunden bis mehreren Tagen geht. Für diesen Zweck würden einzelne Methoden, die auf maschinellem Lernen basieren, bereits im laufenden Betrieb genutzt – auch durch Meteo Schweiz selbst. Die kurzfristige Windprognose der Wetter-App basiere zum Beispiel auf künstlicher Intelligenz.

Vorhersagen für Zeiträume von mehr als sechs Stunden werden aber laut Fuhrer bis heute mit konventionellen Modellen erstellt. Die guten Resultate bei der mehrtägigen Prognose durch Pangu-Weather hätten ihn überrascht. Es sei gut möglich, dass man da vor einem Durchbruch stehe.

Der EZMW-Fachmann Dueben sagt, er sei sich zu hundert Prozent sicher: «In ein paar Jahren werden wir – neben konventionellen Modellen – auch Künstliche-Intelligenz-Modelle für die Wettervorhersage im Standardbetrieb sehen.»

Erfassen die neuen Modelle auch Extremereignisse?

Noch ist es aber nicht so weit. Das liegt nicht nur daran, dass Pangu-Weather und seine Verwandten Spezialkenntnisse und eine geeignete Computer-Infrastruktur benötigen. Die neuen Modelle haben auch Nachteile.

Zum Beispiel hegen viele Fachleute Bedenken, ob solche Modelle in der Lage sind, Extremereignisse vorherzusagen, die in den Trainingsdaten nicht auftauchen. Da die neuen Modelle nicht auf Physik basieren, besteht grundsätzlich die Gefahr, dass sie die Intensität von Ereignissen, die ihnen nie begegnet sind, unterschätzen.

Oliver Fuhrer von Meteo Schweiz äusserst sich optimistisch. Die ersten Ergebnisse mit den neuen Modellen würden zeigen, dass sie durchaus in der Lage seien, ihnen noch nicht vertraute Extremereignisse zu prognostizieren.

Huawei, Google, Nvidia und Microsoft sind aktiv geworden

Der EZMW-Fachmann Dueben ist sehr gespannt auf die Entwicklung in den kommenden Monaten. Bisher sei der Markt der Wettermodelle ein öffentlich finanzierter Bereich gewesen. Den Markt der Prognosemodelle mit maschinellem Lernen führten aber Technologieunternehmen an. Neben Huawei und Google sind zum Beispiel auch Nvidia und Microsoft aktiv. «Das ist ein Weckruf, und wir müssen jetzt aufholen», sagt Dueben. Man fange zwar nicht bei null an, müsse aber Lücken füllen.

Fuhrer sieht Meteo Schweiz für die kommenden Aufgaben gut aufgestellt. Als erster Wetterdienst überhaupt rechne man schon seit 2016 das konventionelle Wettermodell auf den besonders schnellen Grafikprozessoren. Auf solchen Prozessoren, die parallele Rechnungen ermöglichen, lässt man auch die Modelle des maschinellen Lernens laufen. Meteo Schweiz verfügt darum laut Fuhrer anders als viele andere Wetterdienste bereits über die ideale Hardware, um die neuen Methoden zu nutzen.