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Rezepte, Krankschreibungen Digitalisierung nervt viele Ärzte – und könnte zu längeren Wartezeiten führen

Neue Vorgaben für elektronisches Arbeiten führen in Arztpraxen häufig zu Problemen. Eine neue Auswertung zeigt, wie groß die Schwierigkeiten wirklich sind – und warum manche Praxen deshalb sogar dichtgemacht werden.
Eine elektronische Gesundheitskarte der Techniker Krankenkasse steckt in einem Lesegerät

Eine elektronische Gesundheitskarte der Techniker Krankenkasse steckt in einem Lesegerät

Foto: A9999 Techniker Krankenkasse / dpa

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Will man bei Ärztinnen und Ärzten ein emotionales Sodbrennen auslösen, muss man nur zwei Buchstaben fallen lassen: TI. Das Kürzel steht für »Telematikinfrastruktur« und geht es nach einem Großteil der Ärzteschaft, ist diese der Grund für allerlei Unheil und Mehrarbeit. Dahinter stecken Dinge wie das Auslesen der elektronischen Gesundheitskarte oder die elektronische Krankschreibung – Neuerungen, die das Leben der Patienten leichter machen sollen, aber offenbar das der Ärzte erschweren.

Um herauszufinden, ob das Wehklagen über Konnektoren, Praxissoftware und Schnittstellentechnik gerechtfertigt ist oder nur Gerede, um die Digitalisierung herauszuschieben, hat sich das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gemeinsam mit dem Ärztenetzwerk Berlin in einer umfänglichen Erhebung in Berlin damit befasst. Das Zi ist eine von den Kassenärztlichen Vereinigungen getragene Einrichtung, an der zu Fragen der ambulanten Versorgung geforscht wird. Die Erhebung fand von Ende März bis Anfang Juli dieses Jahres statt; 385 niedergelassene Ärzte, Psychotherapeuten sowie Praxisangestellte wurden befragt.

Regelmäßige Probleme mit der Technik

Die Ergebnisse zeigen, dass es deutliche Probleme mit der digitalen Anbindung gibt, was oft zu Mehrarbeit für das Praxisteam führt.

44 Prozent berichteten, dass mehrfach im Monat Probleme bei der Telematikinfrastuktur auftreten – bei mehr als 24 Prozent sogar »sehr häufig«. Am häufigsten kommt es zu Problemen beim Auslesen der elektronischen Gesundheitskarte, gefolgt von Schwierigkeiten bei klassischen IT-Anwendungen wie dem Ausstellen einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Ein Facharzt arbeitet mit einer elektronischen Patientenakte, die ein E-Rezept zeigt

Ein Facharzt arbeitet mit einer elektronischen Patientenakte, die ein E-Rezept zeigt

Foto: Jens Kalaene / dpa

Knapp 63 Prozent der Befragungsteilnehmer gaben an, dass die Nutzung der elektronischen Krankschreibung ihre Arbeit erschwere. Den elektronischen Medikationsplan, bei dem Angaben zu verordneten Medikamenten auf der Gesundheitskarte gespeichert werden, empfinden hingegen mehr Befragte als Erleichterung. 32 Prozent der Befragten gaben an, schon mal einen Arztbrief elektronisch verfasst zu haben; knapp elf Prozent haben die elektronische Patientenakte für ihre Patienten genutzt. Psychotherapeuten wurden diese Fragen gar nicht erst gestellt.

Längere Wartezeiten auf Termine

Beim Zi legt man Wert darauf, dass es in der Ärzteschaft nicht gegen die Digitalisierung als solche gehe. Allerdings sehe man die durch die wacklige Telematikinfrastruktur verursachten Probleme kritisch, weil letztlich weniger Arbeitszeit für Patienten übrigbleibe. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Instituts, sagt: »Die technischen Probleme werden Patienten sehr konkret sehen, etwa wenn die medizinische Fachangestellte am Empfangstresen nicht zu sehen ist, weil sie unter dem Tisch kauert, um den Konnektor neu zu booten. Zum anderen, weil den Praxen dringend benötigte und händeringend gesuchte Mitarbeiter verloren gehen, weil sie etwa ins Krankenhaus wechseln.« Die Praxen müssten dann Sprechstundenzeiten reduzieren, was die Wartezeiten für Termine immer länger werden lässt.

Auch befürchtet von Stillfried, dass immer mehr ältere Ärztinnen und Ärzte ihre Praxen schließen, »weil sie schlichtweg keine Lust mehr haben auf den Zwang, eine dysfunktionale Telematikinfrastruktur implementieren zu müssen, die den Praxisbetrieb lahmlegt.«

Foto: Sascha Steinach / IMAGO

Nur 2,3 Prozent der befragten Kassenpraxen arbeiten noch nahezu komplett analog in Papierform, 66 Prozent arbeiten komplett oder zumindest mehrheitlich digitalisiert. Das verwundert kaum, denn der Gesetzgeber hat hier einen gewissen Zwang verordnet: Ab 1. Januar 2024 dürfen Rezepte für Kassenpatienten nur noch digital erstellt werden. Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist bereits jetzt verpflichtend für Vertragsärzte. Privatpatienten sind hiervon ausgenommen: Sie dürfen auch weiterhin ein Rezept etwa handgeschrieben auf Papier ausgestellt bekommen. Viele Privatärzte sehen das als eine immense Erleichterung ihres Arbeitsalltags.

Zeitaufwand, Fehleranfälligkeit, Datenschutzbedenken, Kosten – die Gründe, warum Ärzte wie Therapeuten nicht alle TI-Anwendungen nutzen, sind vielfältig. Um sich im System authentifizieren zu können, müssen Kassenärzte einen elektronischen Heilberufeausweis nutzen.

Vor allem Psychotherapeuten können mit dieser Plastikkarte bisher allerdings laut der Umfrage wenig anfangen. Mehr als 65 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zwar einen solchen Ausweis hätten, ihn aber nicht nutzten.

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