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KI als Schlichter Die Lösung im Bahnstreik könnte so einfach sein – man müsste nur auf ChatGPT hören

GDL-Chef Claus Weselsky vor einem Bahn-Logo Bahnstreik
Im Bahnstreik kommen sich die Bahn und GDL-Chef Claus Weselsky einfach nicht näher
© Fabian Sommer / DPA
Seit Wochen beharken sich im Bahnstreik die Lokführer-Gewerkschaft GDL und die Bahn und legen wortwörtlich das Land lahm. Die Lösung im Bahnstreik wäre eigentlich ganz einfach – wenn bloß die sturen Menschen nicht wären.

Es ist eine verlockende These: Wenn mal wieder ein Streit wie die aktuellen Tarifverhandlungen und der daraus resultierende Bahnstreik ansteht, warum sollte man ihn nicht von einer Instanz aushandeln lassen, die wirklich neutral ist – nämlich einer Künstlichen Intelligenz? Dieser Vorschlag geistert gerade vermehrt durch die sozialen Medien. Wir haben es einfach mal getestet. Und ChatGPT als Schlichter eingesetzt.

Das ist natürlich keine ideale Besetzung: Das Sprachmodell von OpenAI soll ja eigentlich keine Verhandlungen moderieren, sondern Texte verfassen. KI kann allerdings vor allem dann glänzen, wenn sie für einen Einsatzzweck optimiert wurde. Aber: Beim Verhandeln geht es ja auch darum, Argumente zu verarbeiten und sie dann zu bewerten. Das kann eine Sprach-KI dann doch ganz gut. Anders als menschlichen Schlichtern kann man dem Chatbot außerdem keine mangelnde Neutralität vorwerfen.

Bahnstreik: Das ist laut KI die Lösung

Der Versuchsaufbau ist einfach: Wir füttern ChatGPT erst einmal mit allen Positionen der beiden Parteien, im aktuellen Tarifstreit also der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL. Die Lokführer wollen mehr Geld für weniger Wochenstunden, um die Inflationsfolgen und die gesundheitliche Belastung zu dämpfen. Die Bahn möchte das verhindern – und argumentiert mit Kostendruck und Problemen bei der Schichtbesetzung. Dem Bot muss man das alles natürlich in deutlich größerem Detail erklären, als es hier nun nötig ist. Dann kommt die große Frage: Ist ein Kompromiss möglich?

Nach einigem Rattern spuckt ChatGPT – genutzt wurde das aktuelle Modell GPT-4 – tatsächlich eine Lösung aus. Beachtlich: Die KI wägt die Positionen ab, verlangt von beiden auch harte Zugeständnisse. Zudem betont sie, dass es sich nur um einen möglichen Vorschlag handelt. Aber sie zeigt eben auch: Eine neutraler, beide Seiten berücksichtigender Kompromiss ist möglich. Hier finden Sie den Kompromiss-Vorschlag:

Arbeitszeit

Die GDL besteht auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und für alle Schichtarbeiter bis zum Jahr 2028. Die Bahn bietet dagegen eine Reduzierung auf 37-Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich bis 2026 an.

Ein möglicher Kompromiss könnte darin bestehen, dass die Wochenarbeitszeit schrittweise von jetzt bis 2028 auf 35 Stunden reduziert wird, ähnlich dem Ansatz, den die GDL vorschlägt. Für die Zwischenjahre könnten staffelweise Reduzierungen verhandelt werden, beginnend mit der von der Bahn angebotenen 37-Stunden-Woche. Damit könnte die Bahn die notwendige Zeit haben, um zusätzliches Personal einzustellen und die Kosten schrittweise zu berechnen.

Lohn und Gehalt

Die GDL scheint nicht zufrieden zu sein mit dem von der Bahn vorgeschlagenen Modell, weniger Arbeitszeit mit weniger Gehalt zu verknüpfen. Das Angebot der Bahn, eine Lohnerhöhung von insgesamt 410 Euro ab August 2024 zu gewähren, wird auch von der GDL bestritten.

In Bezug auf den Lohnausgleich könnte ein Kompromiss darin bestehen, dass die Bahn eine Staffelung des Lohnausgleichs anbietet, die mit der stufenweisen Reduzierung der Arbeitszeit synchronisiert ist. Dies könnte dazu beitragen, die finanzielle Belastung der Bahn zu mindern.

Streiks und Verhandlungen

Sowohl die Bahn als auch die GDL haben Interesse daran, die Verhandlungen fortzusetzen, eine Einigung zu erzielen und Streiks zu vermeiden. Die Bahn hat vorgeschlagen, eine Schlichtung durchzuführen, die von der GDL abgelehnt wurde.

Ein möglicher Kompromiss könnte hier die Einführung eines unabhängigen Mediators oder einer Schlichtungsstelle sein, die nicht die Bahn selbst ist. Dies könnte dazu beitragen, das Vertrauen zwischen den beiden Parteien wiederherzustellen.

Abschließende Bemerkung

Dies sind nur potenzielle Kompromissvorschläge. Die letztendliche Einigung hängt von vielen variablen Faktoren und der Bereitschaft beider Parteien ab, Zugeständnisse zu machen und zusammen eine Lösung zu finden.

Der menschliche Faktor

Was der schöne Kompromiss leider nicht bedenkt – und es nach der ersten Aufforderung ja auch gar nicht soll –, ist der Faktor Mensch. Denn leider ist es nunmal nicht so, dass die Verhandlungen von neutralen Algorithmen geführt werden. Die Bahn-Verhandler und der Gewerkschafts-Chef Claus Weselsky sind eben Menschen. Auch sie wissen natürlich, dass ein Kompromiss den Streit schnell beenden würde. Bloß: Bereit sich in der Mitte zu treffen, sind beide Seiten aktuell nicht. Was also, wenn man diesen Faktor nun mit ins Spiel bringt?

Dann sieht auch ChatGPT Probleme. "Wenn beide Seiten hart auf ihren Positionen beharren, wird es schwieriger, eine gütliche Einigung zu erzielen", grübelt der Bot. "Aber es gibt immer noch Szenarien, wie ein Kompromiss gefunden werden kann."

1. Schlichtung

Während die GDL ihre Ablehnung einer Schlichtung deutlich gemacht hat, könnte, angesichts der weiterhin harten Positionen beider Seiten, ein neutraler Schlichter eine wichtige Rolle spielen, um die Verhandlungen zu erleichtern und eine effektive Lösung zu vermitteln.

2. Öffentlicher Druck

Mit zunehmender Dauer der Verhandlungen und weiteren Streiks könnte der öffentliche Druck auf beide Parteien steigen. Dies könnte sie dazu zwingen, ihre Positionen zu überdenken und einen Kompromiss zu erreichen, um den Betriebsablauf sicherzustellen und das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht zu untergraben.

3. Externe Intervention

In einigen Fällen kann eine externe Intervention notwendig sein, um die Verhandlungen voranzutreiben. Das könnte beispielsweise eine gesetzliche oder regulatorische Maßnahme sein, die entweder von der Regierung oder von einer Aufsichtsbehörde durchgesetzt wird.

4. Minimaler Kompromiss

Ein weiterer Ansatz könnte darin bestehen, den Minimal-Kompromiss zu suchen, der für beide Seiten annehmbar ist. Vielleicht gibt es Aspekte in den Verhandlungen, bei denen kleinere Zugeständnisse gemacht werden könnten.

5. Differenziertes Verhandeln

Beide Seiten könnten ein Modell in Betracht ziehen, bei dem unterschiedliche Bedingungen für verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern gelten. Beispielsweise könnte die Bahn für bestimmte Gruppen von Schichtarbeitern ein geringeres Arbeitszeitmodell einführen, während andere Gruppen weiterhin die bisherigen tariflichen Regelungen einhalten.

Das sind fromme Ideen. Das merkt sogar ChatGPT. Und fügt an: "Angesichts der extremen Positionen beider Seiten kann keiner dieser Ansätze eine schnelle Lösung garantieren. Aber solche Verhandlungen sind oft ein Prozess, und es kann einige Zeit dauern, bis eine Einigung erzielt ist. Es ist wichtig, dass beide Parteien den Willen zeigen, eine Lösung zu finden, die im besten Interesse aller Beteiligten liegt."

Ohne Gefühl wird's leichter

Nun dürfte aber gerade das ein Problem sein. Weselsky geht im Herbst in Rente, es sind seine letzten großen Verhandlungen mit der Bahn. Die 35-Stunden-Woche könnte sein großer Knall zum Abschied sein. Bei der Bahn wiederum soll es Menschen geben, die dem dort wenig geliebten Gewerkschafter diesen Erfolg nicht gönnen. Wie geht man damit also um, liebe KI?

In Fällen, in denen persönliche Konflikte und Ego-Kämpfe die Sachverhalte überlagern, kann es hilfreich sein, zwischen Personen und Problemen zu unterscheiden und den Fokus wieder auf die sachlichen Aspekte der Verhandlung zu lenken.

Doch genau das fällt ja gerade offenbar so schwer.

Was macht Verhandlungs-KI so schwer?  

Eine wirklich neutrale Verhandlungs-KI zu erstellen, dürfte ohnehin fast unmöglich werden. Denn das müsste gleich mehrere, riesige Voraussetzungen erfüllen: Die KI müsste nicht nur die Positionen der Parteien bis ins kleinste Detail kennen – sondern auch die verborgenen Motivationen der jeweiligen Verhandler. Hinzu kommt: Beide Parteien müssten die Künstliche Intelligenz mit wirklich jedem Aspekt ihrer Position und der Motivation dahinter füttern und dabei durchgehend ehrlich sein – mit der KI, aber vor allem auch mit sich selbst. Wenn das der Fall wäre, bräuchte man aber fast keine KI mehr. Dieses grundlegende Dilemma des Faktors Mensch erkennt auch ChatGPT bereits:

Im Grunde ist es wichtig zu bedenken, dass Verhandlungen am effektivsten sind, wenn sie lösungsorientiert und auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet sind. Persönliche Ego-Kämpfe sollten keine Rolle spielen, wenn es um das Wohl aller Beteiligten geht. Auch innerhalb komplexer Arbeitsbeziehungen müssen Professionalität und Respekt gewahrt bleiben.

Wenn das doch nur so einfach wäre.

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