Sprechstunde – die Sprachkolumne  Ich persönlich

Illustration: Eine Person mit weit aufgerissenem Mund, daneben eine Sprechblase mit dem Inhalt „Blah”
Aus dem sicheren Sachlichkeitssprech wagen sich derzeit nicht mehr viele heraus © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Jagoda Marinić ärgert sich: über Worthülsen, hinter denen vor allem Wichtigtuerei steckt. Über mit Sachlichkeit getränkte Sprache, der jede Lebendigkeit abgeht. Warum nicht lieber mal eine Anekdote erzählen, emotional werden, ein verbales Risiko eingehen?

Ich persönlich mag das ja nicht. Und du, so unpersönlich?

Ich wusste lange nicht, warum mich dieses „persönlich“ stört, bis ich bei Kurt Tucholsky, der sich auch immer mal wieder Ignaz Wrobel nannte, den gleichnamigen Text aus der Zeitschrift Die Weltbühne fand. (Weil sie so passend ist, nutze ich diese Überschrift auch für meinen Beitrag.) In seinem Artikel aus dem Jahr 1925 machte Tucholsky sich lustig über die Art, Sprache zwischen sich und andere zu stellen, als Schutzschild zu missbrauchen, um die eigene Untätigkeit zu verschleiern. Die eigene Wichtigtuerei blieb leider deutlich sichtbar, die trug man um den Hals wie einen Orden.

Lust an der Worthülse

So war es also vor hundert Jahren. Und heute? Es gibt E-Mails, die das Kontaktieren leicht machen. Oder man könnte jemanden einfach anrufen. Stattdessen wird eine digitale Konferenz aufgesetzt. So macht die deutsche Bürokratielust auch aus der digitalen Sphäre einen Hindernisparcours. Die missbrauchte Sprache suggeriert Geschäftigkeit, manchmal Status. Weshalb ist es für Deutsche schwierig, so zu schreiben, wie Pingpong gespielt wird: kurz hin, noch kürzer her? Stattdessen kleben alle, die Nase am Bildschirm, an Worthülsen. Hauptsache, der Empfänger muss im Dickicht der hohlen Einleitungs- und Ausleitungsphrasen nach dem Anliegen des Verfassers suchen.

Mit Anekdoten die Welt erzählen

Im Grunde ist diese Art „Völkerkunde“, wie ich sie gerade betreibe und die Tucholsky noch frei heraus betrieb, heute nicht mehr tragbar. Wenn ich jetzt schriebe, die US-Amerikaner reden lockerer, oder: die Engländer schaffen es trotz Königshaus, eine Direktheit jenseits der Etikette zu ertragen, würde man nach Belegen dafür fragen: „Aus welcher Studie hast du das denn, bitte? Ist das nicht anekdotisch?“ Dabei ist das anekdotische Wissen jenes, das die Erfahrungen erzählbar macht, die Welt vielfältig, Sprache lebendig und das den Erzähler vom Rapport-Duktus befreit.

Aber wenn man auf Anekdoten zurückgreift, kann man eben nicht Kompetenz vortäuschen, sondern muss die eigene Beobachtungsgabe zur Schau stellen. Man kann nicht berichten, was wo steht und wo erforscht wurde, sondern geht ein Risiko ein, indem man erzählt, wie man selbst etwas sieht, wie man die Welt liest. Damit macht man sich dann für andere sprachlich erfahrbar.

Als kürzlich ein Gespräch der Deutschen Bundeswehr geleakt wurde – es ging um die etwaige Lieferung des Marschflugkörpers Taurus in die Ukraine –, interessierte mich jenseits der aufsehenerregenden Inhalte die Art, wie etwa ein General in einem solchen Hintergrundgespräch mit Sprache umgeht. Die Reduktion auf Verfahren, das Hochrechnen von Szenarien scheint mir in diesem Fall nachvollziehbar – angesichts auch der Last, die Entscheidungen im Kriegszusammenhang mit sich bringen. Mit Erschrecken musste ich gleichzeitig feststellten, wie sehr diese Art zu sprechen inzwischen auch andere Arbeitssphären erreicht hat, nicht zuletzt die Kultur.

Sachlichkeit contra Emotion

Hört man Menschen beim Reden zu, entsteht oft der Eindruck, sie krallen sich an vorgestanzten Verfahren fest wie Hunde an ihren Knochen. Jede Abweichung lässt sie erschreckt schauen: Müsste ich jetzt etwa gleich über Inhalte sprechen? Lieber nimmt man der Melodie ihren Schwung, schließlich möchte man sachlich sein und nicht emotionalisieren. Emotionalisieren hat die Aura des Gefährlichen, während Sachlichkeit als Kompetenz gilt in Deutschland, völlig unhinterfragt.

Da empfehle ich den Film Zone of Interest mit Sandra Hüller, der führt die Problematik von auferlegter Sachlichkeit anschaulich vor Augen. Konnten die Protagonisten doch die Emotionen, die sie zum Morden brauchten, einfach hinter vermeintlicher Sachlichkeit verbergen. Schwer zu verstehen, dass ein Land wie Deutschland so viel Zeit mit der Aufarbeitung der NS-Zeit verbringen kann, und doch nicht in der Lage ist, solche kulturellen Schatten auszuleuchten und sich weiterzuentwickeln.

Bloß nichts riskieren

Aus dem sicheren Sachlichkeitssprech wagen sich derzeit nicht mehr viele heraus. Thesen werden von unterschiedlichen Sprechapparaten vorgebracht, weil es ein zu großes Risiko zu sein scheint, beurteilt zu werden, wenn man etwas Eigenes riskiert. Die zahllosen Spielarten der Sprache werden zunehmend beschnitten. Was bleibt, ist diese unerträgliche Art von Bürokratisierung und Technokratisierung von Sprache. Sprechen wird heruntergebrochen auf seine bloße Funktionalität.

Aber vielleicht bin ich jetzt nur die deutsche Miesepetrigkeit in Person. Setzen wir doch einfach eine Teams-Sitzung auf, um das ausgiebig zu diskutieren: „Hallo, ich bin Jagoda, und ich bin hier zuständig für …“

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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