Künstliche Intelligenz :
Generative KI im Unternehmen ist der nächste große Schritt

Von Peter Buxmann, Thomas Saueressig
Lesezeit: 5 Min.
Erst die clevere Verbindung großer Sprachmodelle mit den Unternehmensdaten bringt die erhofften Produktivitätsvorteile der KI, zum Beispiel im Wissensmanagement. Ein Gastbeitrag.

Künstliche Intelligenz (KI) etabliert sich als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Spätestens mit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 ist Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft angekommen und wird bleiben. Während 2023 als Durchbruch für generative KI im Allgemeinen gesehen werden kann, erwarten wir, dass 2024 das Jahr wird, in dem generative KI sich in der Unternehmenswelt etablieren wird.

KI in Unternehmen heute

Künstliche Intelligenz basiert heute in den meisten Fällen noch auf dem maschinellen Lernen (ML). Diese Anwendungen funktionieren in abgeschlossenen Feldern in der Regel gut. Man spricht dabei auch von schwacher KI. Ein Beispiel, das wir als Verbraucher gut kennen, sind Empfehlungen auf Basis unseres bisherigen Kaufverhaltens auf Onlineplattformen. Eine andere Anwendungsmöglichkeit sind Prognosen auf Grundlage historischer Daten, etwa die Vorhersage im Rechnungswesen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Kunden ihre Rechnungen in 30, 60 oder 90 Tagen begleichen werden. Zentrale Erfolgsfaktoren für solche ML-Anwendungen sind die Verfügbarkeit der Daten in guter Qualität, Diversität und ausreichender Quantität. Das zeigen Beispiele wie die Qualitätssicherung, vorausschauende Analysen (Predictive Analytics), die Bekämpfung von Cybersecurity-Attacken oder das „Invoice Matching“, also der automatische Abgleich von Eingangszahlungen mit Rechnungsdaten.

Generative KI in Unternehmen

Die Nutzung der generativen KI eröffnet nun zusätzliche Chancen für den Einsatz in Unternehmen, zum Beispiel im Wissensmanagement. Die großen Sprachmodelle wurden mit riesigen Mengen unstrukturierter Textdaten trainiert. Unternehmen benötigen jedoch Lösungen, die auch mit strukturierten Daten arbeiten können, wie sie oft in Datenbanken oder Tabellen vorliegen. Künftig werden Sprachmodelle in natürlicher Sprache mit strukturierten und unstrukturierten Unternehmensdaten interagieren. Beispielsweise kann generative KI im Unternehmen den Anwendern geschäftsbezogene Fragen wie „Welche Materialien nutzen wir für die Herstellung unserer Produkte?“ oder „Von welchen Händlern beziehen wir unsere Materialien?“ beantworten. Sprachmodelle helfen dann, Antworten passend zum Kontext zu geben. Die Inhalte und Antworten basieren auf strukturierten Geschäftsdaten, beispielsweise Material- oder Lieferantendaten.

Die Verbindung klassischer ML-Verfahren mit den Fähigkeiten der generativen KI eröffnet weitere Möglichkeiten. Wir bewegen uns in diesem Szenario weg von der schwachen KI. Ein Modell kann dann nicht nur für ein, sondern für unterschiedliche Anwendungsgebiete eingesetzt werden. Das zeigt auch das Beispiel ChatGPT. Die ersten Generationen der Sprachmodelle von Open AI konnten Texte vervollständigen, neue Versionen können konkrete Instruktionen wie “Übersetze auf Englisch” oder “Fasse die wichtigsten Punkte zusammen” verstehen und ausführen – und zwar ohne Training mit neuen Daten. Heute können die Modelle neben Texten auch Bilder oder Videos erzeugen.

In dem zuvor genannten Beispiel der Prognose der Einhaltung von Zahlungszielen könnte ein entsprechend mit Unternehmensdaten trainiertes großes Modell dann nicht nur die Wahrscheinlichkeit für einen Zahlungseingang zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern auch die Nachfrage nach Produkten oder Risiken in der Lieferkette vorhersagen. Während sich die Daten und der Geschäftskontext unterscheiden, werden die Ergebnisse vom gleichen KI-Modell erzeugt. Der Anwendungsbereich klassischer KI-Modelle wird so erweitert.

Sicherer Umgang mit Daten

Für alle KI-Modelle gilt: Die Ergebnisse sind nur so gut wie die zugrunde liegenden Daten. Plattformen wie Kaggle stellen Millionen von Datensätzen für verschiedene Anwendungsfälle bereit, die häufig im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten oder „Hackathons“ genutzt werden. SAP nutzt in dem Rahmen, in dem es möglich ist, echte Anwendungsdaten als Grundlage für das Training der KI-Modelle. Die Entwicklung eines Modells, das in vielen Szenarien eingesetzt werden kann, ist der logische nächste Schritt.

Um die KI-Revolution in Unternehmen voranzutreiben, muss die KI verantwortungsvoll mit den Daten umgehen und verlässliche Ergebnisse liefern. Mittlerweile ist eine DSGVO-konforme Verarbeitung der Daten durch sichere Prozesse etabliert, indem zum Beispiel personenbezogene Daten zuverlässig anonymisiert werden. Die KI-Anwendung in einer entsprechenden Cloud-Umgebung stellt sicher, dass die Daten im geschützten Raum, zum Beispiel in Europa, bleiben, und Vorsichtsmaßnahmen sorgen zudem dafür, dass die Ein- und Ausgaben ethischen Standards folgen.

Eine weitere Herausforderung bei der Nutzung von Sprachmodellen ist die Gefahr von Halluzinationen. KI-Modelle können falsche Inhalte liefern, die für den Nutzer aber recht überzeugend klingen. Halluzinationen lassen sich bei der unternehmensinternen Nutzung nahezu ausschließen. Der Grund dafür ist die zuverlässige Datengrundlage. Im obigen Beispiel der Material- oder Lieferanteninformationen beantwortet das Sprachmodell die Fragen nicht etwa aus seinem eigenen angelernten und teils lückenhaften Wissen, sondern nutzt den expliziten Kontext aus den Geschäftsdaten. Die Antwort ist für die Fragenden nachvollziehbar, erklärbar und somit auch vertrauenswürdig.

Zusammenarbeit zwischen Menschen und KI

KI wird zukünftig ein natürlicher Teil von Unternehmenssoftware sein, so wie auch Cloud und mobile Technologien die Unternehmenswelt erobert haben. Dies führt für die Anwender zu betriebswirtschaftlichen Vorteilen: Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology zeigt am Beispiel von ChatGPT, dass die Nutzung von Sprachmodellen zu Produktivitätsgewinnen von etwa 30 bis 40 Prozent, zu besseren Ergebnissen sowie zu einer höheren Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter führt. Trotz verbesserter Produktivität ist aber nicht zu erwarten, dass generative KI und insbesondere die Nutzung von Sprachmodellen Jobs in großem Umfang vernichten wird. Vielmehr wird es zu Verschiebungen kommen, und neue Berufsfelder entstehen. Generative KI wird die Menschen bei ihrer Arbeit eher unterstützen als ersetzen.

Eine wichtige Voraussetzung für diese Form der Zusammenarbeit ist ein grundlegendes Verständnis der Funktionsweise von KI. Natürlich müssen die Anwender nicht im Detail verstehen, wie ML-Algorithmen „unter der Motorhaube“ funktionieren. Aber Grundkenntnisse, etwa über verschiedene Formen des ML, die Bedeutung von Daten, die Intransparenz mancher Algorithmen oder die Gefahr von Halluzinationen bei generativer KI, lassen sich einfach – und ohne Informatikkenntnisse – erklären. Dies sind wichtige neue Kernkompetenzen, die bereits in der Schule vermittelt und in die Schulpläne integriert werden sollten. Auch Studierende nichttechnischer Studiengänge sollten die Grundprinzipien von KI erlernen, denn KI wird zukünftig fast alle Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft berühren und beeinflussen. Insofern sollten Menschen aller Altersgruppen und in allen Ausbildungsrichtungen ein Teil der KI-Revolution sein – im Sinne eines lebenslangen Lernens.

Die Vermittlung von KI-Kenntnissen ist auch deswegen wichtig, weil auf diese Weise Vorbehalte oder Ängste abgebaut werden können. Studien zeigen, dass Menschen umso mehr Sorgen vor KI haben, je weniger sie davon verstehen. Die Unsicherheit abzubauen und die nächste Generation von Fach- und Führungskräften mit den entsprechenden Kompetenzen auszustatten ist eine große gesellschaftliche Aufgabe unserer Zeit. Es geht nicht um KI oder Mensch, sondern KI für Menschen.

Thomas Saueressig ist als Mitglied des Vorstands der SAP SE derzeitig für das gesamte Produktportfolio verantwortlich. In Kürze wird er mit für den neuen Vorstandsbereich Customer Services & Delivery zuständig sein.
Professor Dr. Peter Buxmann
Peter Buxmann lehrt Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Darmstadt und ist als Aufsichtsrat, Senior Advisor, Podcaster und Gründer tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Zukunft der Digitalen Arbeit.
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