Automatisierte Ampel in Hamm Eine KI zeigt Rot

Rote Ampel: Intelligentere Steuerung soll Unfälle vermeiden und den Verkehrsfluss optimieren
Foto: Funke Foto Services / IMAGOBei Autofahrern in Hamm kommt künstliche Intelligenz (KI) im Straßenverkehr derzeit gar nicht gut an. Seit Anfang April regelt eine neue Ampel den Verkehr an der Ostwennemarstraße. Das Problem: Die KI-Ampel schaltet für Autofahrer gerne mal auf Dauerrot – auch wenn weit und breit kein Fußgänger zu sehen ist.
Zweimal ist die Polizei in den vergangenen drei Wochen bereits ausgerückt, weil verzweifelte Autofahrer bei Dauerrot ausharren mussten. »Da gab es immense Rückstaus«, sagt Polizeisprecher Daniel Siegesmund dem SPIEGEL. Der Verkehr habe sich beidseitig mehrere Hundert Meter zurückgestaut. »Uns haben viele Autofahrer angerufen, die an der roten Ampel warten mussten.« Und das, obwohl gar keine Fußgänger die Straße überqueren wollten. Die Ampelanlage soll solche Situationen eigentlich erkennen – und Autos durchwinken, wenn keine Fußgängerinnen am Übergang warten. »Die Ampel funktioniert noch nicht so reibungslos, wie man sich das vorgestellt hat«, sagt Siegesmund.
Bild-KI filtert Verkehrsteilnehmer heraus
Dabei hat die Stadt eigentlich Erfahrung mit KI-Ampeln. Es handelt es sich bereits um die zweite solche Verkehrsanlage in Hamm. Die erste KI-Ampel war im Juni vergangenen Jahres aufgebaut worden. Kameras erfassen ständig die Straße, die Radwege und den Bürgersteig. Eine Bilderkennung hebt Autos, Radler und Fußgänger hervor und soll so für idealen Verkehrsfluss sorgen. Fahrräder erkennt das System etwa bereits aus einer Entfernung von 70 Metern und berechnet ihre Ankunftszeit, um möglichst passend auf Grün zu schalten.
Die Objekterkennung preist der Hersteller als den großen KI-Bonus. Das Feature rechtfertigt laut Ampelhersteller Yunex Traffic auch den hohen Preis: 70.000 Euro, etwa das Doppelte einer klassischen Ampel. »Es können alle Verkehrsteilnehmenden detektiert werden«, teilt eine Sprecherin mit. Vor allem auf verletzlichen Gruppen wie E-Scooter-Fahrern liege der Fokus.
Dies ist an der Ostwennemarstraße auch besonders wichtig. Bevor die neue Ampel installiert wurde, war die Straße laut Verkehrskommission der Stadt ein Unfallschwerpunkt. Immer wieder sei es zu Unfällen mit leichten und schweren Verletzungen gekommen, insbesondere junge Schüler seien betroffen gewesen.
Fußgänger sollen deshalb Vorrang haben. Einen Taster müssen sie dafür nicht drücken. Die Kameras erkennen, ob sich eine Passantin oder ein Passant nähert, dann müssen die Autos warten. Je mehr Menschen die Straße überqueren wollen, desto länger ist die Grünphase. Die kürzeste Grünphase soll neun, die längste 24 Sekunden dauern dürfen. Dann dürfen auch die Autos wieder fahren. So zumindest der Plan.
Warum die brandneue Ampel den Autofahrern mitunter Dauerrot anzeigt, ist unklar. Der mutmaßliche Fehler liege wahrscheinlich im Zusammenspiel zwischen Sensor und Software, teilt Stadtsprecher Tom Herberg mit. »Das Problem ist aktuell behoben.« Allerdings sollte man sich nicht allzu sehr darauf verlassen, dass nun alles perfekt läuft. So werden »›im laufenden Geschäft‹ weiter Optimierungen an der Ampel vorgenommen«, sagt Herberg.
Google setzt bei KI-Projekt auf Analogtechnik
Während Städte wie Salzburg und Wien schon seit ein paar Jahren maschinelles Lernen in Ampeln einsetzen, stehen smarte Ampeln in Deutschland erst am Anfang. Ein Testprojekt läuft im bayerischen Essenbach. In dem 11.000-Einwohner-Ort nordöstlich von München greift derzeit eine 100.000-Euro-Ampel mit KI-Unterstützung in den Verkehr ein. Auch dort erfassen Kameras den Verkehr, um die Grünphasen zu justieren. Die Ampelsoftware erkennt beispielsweise heranrollende Radfahrer und zeigt auf einer Hinweistafel an, wie schnell das Tempo für eine grüne Welle sein sollte. Zusätzlich soll ein orangefarbenes Blinklicht am Ampelmast vor drohenden Kollisionen warnen, etwa beim Rechtsabbiegen .
Experten zweifeln an KI-Ampel-Revolution
Experten blicken skeptisch auf den Trend. Ein Verkehrsforscher sagt dem SPIEGEL, dass er KI-Ampeln eher für einen PR-Gag halte als für eine große technologische Revolution. Über Technik wie Kontaktschleifen und Radarsensoren würden schon seit Jahren Verkehrsdaten erfasst und bei der Ampelsteuerung berücksichtigt. Auch Linienbusse können in manchen Städten per Funksignal eine Ampelschaltung anfordern.
Andere Verkehrsplaner berichten dem SPIEGEL, dass der KI-Bonus bei einzelnen Ampeln wenige Vorteile bringe. Um den Verkehrsfluss zu optimieren, müssen Ampeln miteinander kommunizieren. Die bisherigen KI-Modelle seien aber abgekapselt von der restlichen Infrastruktur, weshalb der Effekt verpuffe.
Google versucht sich mit dem KI-Projekt »Green Light« an einer Kompromisslösung. Der Konzern hat Daten von Google Maps ausgewertet, damit die Städte die Rot- und Grünphasen der Ampeln optimieren können – dazu reicht herkömmliche Ampeltechnik. Autos sollen auf diese Weise reibungsloser durch die Stadt gelotst werden, bis zu zehn Prozent an Emissionen sollen an Kreuzungen so eingespart werden. Unter anderem Hamburg beteiligt sich an der Testphase.
Trotz der Startschwierigkeiten will die Stadt weitere smarte Ampeln anschaffen. Rotlichtprobleme hatte es schließlich auch bei der ersten KI-Ampel gegeben, wie der »Westdeutsche Rundfunk« berichtet . Mittlerweile hat sich die KI bei Ampel Nummer eins aber offenbar berappelt. »Da sieht alles gut aus«, sagt Polizeisprecher Daniel Siegesmund. »Die Ampel funktioniert einwandfrei.« Es wird sich zeigen, ob auch die neue KI-Ampel schnell genug dazulernt.
Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Artikelfassung wurde Essenbach als Dorf bezeichnet, tatsächlich handelt es sich um eine Marktgemeinde. Wir haben den Artikel angepasst.