Ex­per­ten kri­ti­sie­ren Si­cher­heits­pa­ket

Die Mes­ser­at­ta­cken von Mann­heim und So­lin­gen haben die Po­li­tik unter Hand­lungs­druck ge­setzt, die Bun­des­re­gie­rung re­agier­te mit einem "Si­cher­heits­pa­ket". Doch kön­nen die Ge­setz­ent­wür­fe tat­säch­lich für mehr Si­cher­heit sor­gen? Ex­per­ten sehen das kri­tisch.

Finn-Chris­to­pher Brü­ning vom Deut­schen Städ­te- und Ge­mein­de­bund hält statt­des­sen "re­le­van­te Re­for­men bei den Zu­stän­dig­kei­ten und Kom­pe­ten­zen aller Be­tei­lig­ten" für er­for­der­lich. Po­li­zei, Aus­län­der­be­hör­den sowie mit den Ab­schie­bun­gen be­fass­te Stel­len der Län­der müss­ten per­so­nell bes­ser aus­ge­stat­tet wer­den. "Deut­li­che Er­fol­ge" sieht Brü­ning bei den Grenz­kon­trol­len und rät zu deren Fort­set­zung für einen län­ge­ren Zeit­raum.

Jörg-Hen­ning Ger­le­mann, Rech­nungs­hof der Frei­en und Han­se­stadt Ham­burg, zwei­felt – vor allem mit Blick auf die ge­plan­ten neuen Waf­fen­ver­bots­zo­nen – daran, dass die Re­ge­lun­gen voll­zieh­bar sind. Die Po­li­zei sei gar nicht in der Lage, die ge­plan­ten ge­ne­rel­len Ver­bots­ge­bie­te – etwa alle Volks­fes­te oder der ge­sam­te öf­fent­li­che Nah­ver­kehr – zu kon­trol­lie­ren.

Be­zo­gen auf das Waf­fen­recht kri­ti­siert Niels Hein­rich von der Fach­li­chen Leit­stel­le Na­tio­na­les Waf­fen­re­gis­ter in Ham­burg die Re­ge­lun­gen als pra­xis­fern: Keine der vor­ge­se­he­nen Maß­nah­men hätte die Taten von Mann­heim und So­lin­gen ver­hin­dert, meint Hein­rich.

Ver­fas­sungs­recht­li­che Be­den­ken

Auch stel­len die Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit von Re­ge­lun­gen des Si­cher­heits­pa­kets in­fra­ge. Die Re­gie­rung lasse "das rechts­staat­li­che Au­gen­maß" ver­mis­sen, sagte Sarah Lin­coln von der Ge­sell­schaft für Frei­heits­rech­te. An vie­len Stel­len werde weder die Recht­spre­chung des BVerfG noch hö­her­ran­gi­ges Recht be­rück­sich­tigt. Mehr Si­cher­heit er­rei­che man nicht durch po­pu­lis­ti­sche Maß­nah­men, son­dern durch Bil­dung, Prä­ven­ti­on und psy­cho­so­zia­le Un­ter­stüt­zung.

Andre Schus­ter vom Deut­schen Städ­te­tag er­klär­te, im Um­gang mit Asyl­su­chen­den und Schutz­be­rech­tig­ten müsse die Be­deu­tung von Rechts­staat­lich­keit und fai­ren Ver­fah­ren be­tont wer­den. Phil­ipp Witt­mann, Rich­ter am VGH Mann­heim, stell­te klar, dass eine stär­ke­re Ein­bin­dung der Bun­des­po­li­zei in die Ab­schie­be­or­ga­ni­sa­ti­on oder den Ab­schie­be­voll­zug zwar zweck­mä­ßig sein könne, aber die Kom­pe­tenz­zu­wei­sun­gen des Grund­ge­set­zes be­ach­ten müsse.

Da­ten­schutz­recht­li­che Kri­tik

Auch der Da­ten­schutz macht den Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten Sor­gen. Die Vor­schlä­ge über­trä­fen alles, was es bis­her im Be­reich der di­gi­ta­len Über­wa­chung ge­ge­ben habe, so Den­nis-Kenji Kip­ker, Pro­fes­sor für IT-Si­cher­heits­recht von der Uni­ver­si­tät Bre­men. Er sprach von einem "si­cher­heits­be­hörd­li­chen Daten-Su­per­gau". Bei der ge­plan­ten Vor­feld-Er­fas­sung per­sön­li­cher Daten solle der Aus­nah­me­fall un­be­grün­det zum Re­gel­fall ge­macht wer­den. Dies werde umso ge­fähr­li­cher, je mehr Daten im In­ter­net ge­spei­chert seien. Damit käme man dem viel be­fürch­te­ten "glä­ser­nen Bür­ger" näher als je­mals zuvor.

Mar­ti­na Link, Vi­ze­prä­si­den­tin des Bun­des­kri­mi­nal­am­tes (BKA), be­ton­te die Be­deu­tung der Re­ge­lun­gen zum bio­me­tri­schen In­ter­net-Ab­gleich. Die Iden­ti­fi­zie­rung von At­ten­tä­tern oder Ge­fähr­dern, die noch nicht po­li­zei­lich in Er­schei­nung ge­tre­ten seien, werde da­durch er­heb­lich er­leich­tert. Eine Rechts­grund­la­ge für au­to­ma­ti­sier­te Da­ten­ana­ly­se sei für eine zeit­ge­mä­ße Po­li­zei­ar­beit und spe­zi­ell für das BKA in sei­ner Funk­ti­on als Zen­tral­stel­le von we­sent­li­cher Be­deu­tung.

Ste­phan Schind­ler, Uni­ver­si­tät Kas­sel, kri­ti­siert hin­ge­gen die vor­ge­se­he­nen Vor­schrif­ten zum nach­träg­li­chen Ab­gleich mit öf­fent­lich zu­gäng­li­chen Daten aus dem In­ter­net, da sie zu er­heb­li­chen Grund­rechts­ein­grif­fen führ­ten. Es seien zahl­rei­che Per­so­nen – po­ten­zi­ell alle In­ter­net­nut­ze­rin­nen und -nut­zer - be­trof­fen, die hier­für mehr­heit­lich kei­nen An­lass ge­ge­ben hät­ten. Es brau­che spe­zi­fi­sche Re­ge­lun­gen, die den Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit wahr­ten. Da sol­che Ab­glei­che feh­ler­an­fäl­lig seien, solle eine Über­prü­fung durch eine qua­li­fi­zier­te Per­son vor­ge­schrie­ben wer­den.

Chris­toph Sorge, Pro­fes­sor für Rechts­in­for­ma­tik von der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des, kri­ti­sier­te, die tech­ni­sche Kon­zep­ti­on zur Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten - be­son­ders die Bio­me­trie - falle in den Vor­schlä­gen so un­kon­kret aus, dass sie kaum im De­tail zu über­prü­fen sei. Es seien sehr weit­rei­chen­de Ein­grif­fe vor­ge­se­hen, ohne dass sie ir­gend­wie ein­ge­hegt wür­den oder die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger wüss­ten, wor­auf sie sich ein­stel­len müss­ten. Es gehe schlie­ß­lich nicht nur um Daten von Ver­däch­ti­gen oder Aus­län­de­rin­nen und Aus­län­dern, die ge­ra­de einen Asyl­an­trag ge­stellt hät­ten, son­dern im Prin­zip um alles, was man im In­ter­net fin­den könne. Sorge be­zwei­fel­te daher auch die Ver­ein­bar­keit mit eu­ro­päi­schem Recht.

Laut der Bun­des­be­auf­trag­ten für den Da­ten­schutz und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit, Loui­sa Specht-Rie­men­schnei­der, müs­sen die Po­li­zei­be­hör­den über sinn­vol­le Werk­zeu­ge ver­fü­gen. Eben­so aber müss­ten die Grund­rech­te aller be­trof­fe­nen Per­so­nen ge­wahrt blei­ben. Er­mäch­ti­gungs­grün­de für grund­rechts­in­ten­si­ve Maß­nah­men dürf­ten nicht über­eilt ge­schaf­fen wer­den. So wie­sen alle vor­ge­se­he­nen Ein­griffs­nor­men zur Ge­sichts­er­ken­nung zu un­schar­fe Tat­be­stands­merk­ma­le auf und er­mög­lich­ten er­heb­li­che Ein­grif­fe in die Rech­te un­be­tei­lig­ter Per­so­nen.

Mehr Kom­pe­ten­zen für Bun­des­po­li­zei

Heiko Teg­gatz, Bun­des­vor­sit­zen­der der DPolG - Bun­des­po­li­zei­ge­werk­schaft, legt dar, der­zeit be­fän­den sich in Deutsch­land rund 300.000 aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­so­nen, von denen 50.000 so­fort aus­rei­se­pflich­tig und teil­wei­se sogar mit Haft­be­feh­len aus­ge­schrie­ben seien. Sie wür­den von der Bun­des­po­li­zei re­gel­mä­ßig ins­be­son­de­re an Bahn­hö­fen fest­ge­stellt. Eine tat­säch­li­che Durch­set­zung der auf­ent­halts­be­en­den­den Maß­nah­men durch die Bun­des­po­li­zei komme der­zeit re­gel­mä­ßig nicht in Be­tracht, da ihr die Zu­stän­dig­keit dafür fehle.

Klaus Rit­gen vom Deut­schen Land­kreis­tag mein­te, die ir­re­gu­lä­re Mi­gra­ti­on müsse be­grenzt und ge­steu­ert wer­den – die vor­ge­schla­ge­nen Re­ge­lun­gen gin­gen in die rich­ti­ge Rich­tung, könn­ten aber nur erste Schrit­te sein. Die Auf­nah­me- und In­te­gra­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten in den Kom­mu­nen seien er­schöpft.

Kon­kret be­spro­chen wur­den die zwei Ge­setz­ent­wür­fe der Ko­ali­ti­ons­frak­tio­nen "zur Ver­bes­se­rung der in­ne­ren Si­cher­heit und des Asyl­sys­tems" und "zur Ver­bes­se­rung der Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung" sowie der Ent­wurf eines "Zu­strom­be­gren­zungs­ge­set­zes", vor­ge­legt von der Uni­ons­frak­ti­on.

Redaktion beck-aktuell, bw, 23. September 2024.

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