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Logistik Flutet DHL die Städte jetzt mit Paketboxen?

Zu wenig Personal, der Sprit teuer, steter Frust an der Haustür – die Paketbranche braucht eine „Lieferrevolution“. Logistikexperte Sven Rutkowsky prognostiziert ein wachsendes Milliardengeschäft mit Packstationen.
Das Interview führte Lutz Reiche
Ab in die Box: Der Marktführer DHL Group betrieb Ende 2023 rund 13.000 Packstationen mit weit mehr als einer Million Schließfächern – zugänglich nur für eigene Päckchen und Pakete

Ab in die Box: Der Marktführer DHL Group betrieb Ende 2023 rund 13.000 Packstationen mit weit mehr als einer Million Schließfächern – zugänglich nur für eigene Päckchen und Pakete

Foto: DHL Group

Man sieht sie immer öfter, und sie werden immer mehr – die großen, gelben Schließfachschränke der DHL Group. Nicht selten landet dort eine Sendung, weil der Zusteller den Empfänger nicht antrifft. Dieser Art von Boxen gehört neben der Lieferung an Paketshops in Supermärkten die Zukunft, ist Kearney-Berater Sven Rutkowsky überzeugt. Die „Lieferrevolution“ werde sich nicht aufhalten lassen. Denn die hohen Kosten für die Zustellung auf der letzten Meile könnten dadurch um bis 30 Prozent sinken. Bei mehr als vier Milliarden Paketzustellungen im Jahr wäre die Ersparnis enorm – und der Umwelt etwas Gutes getan. Im Teams-Interview sagt der Experte, was auf Verbraucher zukommt und wie sich der Milliardenmarkt sortieren wird.

manager magazin: Herr Rutkowsky, folgt man einer Studie aus Ihrem Haus, steht die Paketbranche vor einer Lieferrevolution , weil ihr die Kosten für die „letzte Meile“ davonlaufen. Demnach fallen für die Haustürlieferung mehr als 50 Prozent der gesamten Lieferkosten an. Das überrascht, ist das wirklich so viel?

Sven Rutkowsky: Wir haben uns da sicher nicht verrechnet. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Der hohe Kostenanteil liegt auch daran, dass sich auf der sogenannten letzten Meile die anfallenden Kosten auf 100-150 Pakete in kleineren Fahrzeugen verteilen und auf der sogenannten mittleren Meile auf mehrere Tausend in großen. Auf dem Land treiben zudem die geringe Stoppdichte und die Kraftstoffpreise die Kosten. Von allen Kosten in der Transport- und Sortierkette der Pakete lassen sich die der letzten Meile am ehesten senken.

Wie denn?

Würden die Pakete zu 100 Prozent an Schließfächer geliefert oder an andere „Out-of-Home-Standorte“ wie Supermärkte, dann könnten die Kosten nach unserer Rechnung je Paket gegenüber reiner Hauszustellung um bis zu 30 Prozent sinken. Bei 3,50 Euro pro Paket beispielsweise um einen Euro – und die Umwelt würde obendrein durch weniger Verkehr auch davon profitieren.

Foto: [M] PR

Sven Rutkowsky (56): Der studierte Verkehrswissenschaftler kennt sich aus in der Logistikbranche – und beide Seiten: Bevor der gebürtige Berliner 2010 als Partner bei der Beratungsgesellschaft Kearney einstieg, war er 8 Jahre als Vorstand bei Rhenus Logistics und davor gut 10 Jahre bei der Boston Consulting Group (BCG) tätig. Rutkowsky gilt laut Kearney als einer der führenden Experten für die Transportbranche.

Mein Eindruck aus einer Großstadt ist, viele Menschen lassen ihre Sendung ohnehin immer öfter umleiten – zu einem Paketshop beim Bäcker zum Beispiel. Täuscht der Eindruck?

Lieferungen an Paketshops erreichen in Deutschland je nach Region heute einen Anteil zwischen 10 und 30 Prozent, mehr aber eben nicht. Wenn der Zusteller etwa jedes fünfte Paket ein zweites Mal beim Kunden anliefert, weil er nicht anzutreffen war, treibt dies die Kosten der Hauszustellung zusätzlich nach oben. In anderen Ländern wie Polen, England, Schweden oder auch Tschechien ist der Anteil der Out-of-Home-Lieferungen deutlich höher. In Polen liegt er sogar über 50 Prozent. Hier hat sich der Paketboxen-Spezialist InPost bereits die führende Position erkämpft und wächst derzeit stärker als die Zustelldienste selbst.

„Kosten je Paket könnten gegenüber reiner Hauszustellung um bis zu 30 Prozent sinken.“

Sven Rutkowsky

DHL, DPD und UPS nutzen Out-of-Home-Standorte wie Supermärkte schon lang. Sie sehen aber Kostenvorteile für automatische Paketboxen. Warum?

Ob die Zustellung via Paketschließfach weniger Kosten verursacht als jene über einen Shop, hängt davon ab, wie viel Mietgebühren für Automaten anfallen und was die Paketshops für ihre Tätigkeit verlangen. Sicher ist: Der Kostenunterschied zwischen einer Hauslieferung und einer Sammellieferung an einen Shop und an eine Paketbox ist beträchtlich. Darin liegt die künftige Ersparnis, die sich dann vermutlich mehrere Beteiligte teilen werden – also der Händler, der DHL und Co mit der Lieferung beauftragt, und auch der Endkunde könnte von niedrigeren Zustellkosten profitieren.

Der Marktführer DHL betreibt deutschlandweit etwa 13.000 automatische Packstationen . Analysten sehen das wegen der geringen Auslastung von etwa 50 Prozent als Zusatzgeschäft. DHL öffnet jetzt sein Netzwerk für Wettbewerber. Überschätzen Sie vielleicht doch die Kostenvorteile?

Nach unserem Wissen liegt die Auslastung deutlich über 50 Prozent, zu den Spitzenzeiten und -tagen dürfte sie bei 80 bis 90 Prozent liegen. Insofern weiß ich nicht, woher Ihre Zahl stammt. Es gibt sogar Piloten, wo täglich mehrfache Zustellung an Paketboxen praktiziert und eine Auslastung von über 100 Prozent pro Tag erreicht wird.

Rico Back, Ex-Chef des Paketdienstes GLS indes ist überzeugt, Paketboxen tragen sich nur, wenn alle mitmachen. Glauben Sie, Wettbewerber wie Amazon werden das DHL-Angebot annehmen? Back hat da Zweifel.

Dass sich die Boxen nur bei gemeinsamer Nutzung tragen, sehen wir nicht so. Die DHL Group nimmt auch nicht Abstand von ihrem eigenen Paketboxennetz, das wollen sie sogar ausbauen. Sie bietet vielmehr eine zusätzliche, neutrale Option unter dem Namen „One Stop Box“ an – und zwar dort, wo es nicht möglich ist, einen guten Standort für das eigene System zu bekommen. Diese neutrale Station soll dann auch anderen offenstehen.

Gegenwärtig lassen es sich Wettbewerber noch offen, ob sie mit DHL sozusagen in eine gemeinsame Box steigen.

Niemand wird sich als Dienstleister von einem Wettbewerber oder einem Dritten völlig abhängig machen. Es ist daher auch gut möglich, dass viele Anbieter eigene Boxen ausbauen und gleichzeitig andere miteinander teilen und voneinander profitieren. Im Endeffekt geht es darum, die Endkunden mit einer höheren Dichte des Angebots zu überzeugen. Daran dürften alle Zustelldienste ein Interesse haben.

Auch wegen steigender Regulierung des Lieferverkehrs in den Städten sehen Sie Paketboxen als Lösung. Das funktioniert nur, wenn die Verbraucher das Angebot annehmen. Was macht Sie da so sicher?

Zwar nicht repräsentativ, aber wir haben nachgefragt: Demnach sehen insbesondere jüngere Menschen Paketboxen als vorteilhaft. Vor allem kurze Abholzeiten und die Verfügbarkeit rund um die Uhr heben sie hervor. Die Akzeptanz der Paketboxen unter Verbrauchern steigt auch mit der Zahl der Retouren. Wer mehr zurücksendet, ist eher bereit, die Box zu nutzen. Zudem spielt die Entfernung eine wichtige Rolle: Ist die Station fußläufig in einer Entfernung von etwa 500 Metern gut zu erreichen, steigt die Akzeptanz deutlich. Noch mehr Verbraucher würden das Angebot nutzen, wenn es eine Kostendifferenzierung gibt und sie für diese Form der Zustellung weniger zahlen müssten.

„Ist die Station fußläufig in einer Entfernung von etwa 500 Metern gut zu erreichen, steigt die Akzeptanz deutlich.“

Sven Rutkowsky

Sie sagen, der kurze Weg zur Station ist mit entscheidend für die Akzeptanz. Der öffentliche Raum in Städten ist knapp, hart umkämpft. Welches Wachstum, welche Verbreitung trauen Sie vor diesem Hintergrund neuen Paketstationen in Deutschland überhaupt zu?

Offen für alle Anbieter: Die gerade gegründete DHL-Tochter „OneStopBox“ ist offen auch für andere Zulieferer. Mit verschiedenen Paketdienstleistern und dem stationären Einzelhandel soll das größte offene Automatennetz in Deutschland entstehen. Ende 2025 peilt die DHL-Tochter 2000 Standorte in Deutschland an – zusätzlich zu den eigenen gelben Boxen.

Offen für alle Anbieter: Die gerade gegründete DHL-Tochter „OneStopBox“ ist offen auch für andere Zulieferer. Mit verschiedenen Paketdienstleistern und dem stationären Einzelhandel soll das größte offene Automatennetz in Deutschland entstehen. Ende 2025 peilt die DHL-Tochter 2000 Standorte in Deutschland an – zusätzlich zu den eigenen gelben Boxen.

Foto: DHL Group

Viele Kommunen drängen private Pkw insbesondere in den Ballungsräumen stärker zurück. Setzt sich diese Tendenz fort, dann gewännen wir eine Menge öffentlichen Raum für andere Zwecke zurück. Schließlich stehen Pkw 95 Prozent ihrer Lebenszeit. Richtig ist, es gibt einen Wettbewerb um den begrenzten Platz, aber mit ein wenig Kreativität lässt sich da viel erreichen. Große Wohnungsbauunternehmen wie Vonovia zum Beispiel investieren in neutrale Paketstationen in ihren Wohnanlagen und lassen sich dies auch von den großen Netzen vergüten. Beim Einzelhandel sehen wir mehr Potenzial für Paketboxen und auch beim ÖPNV gibt es Möglichkeiten, Flächen zu nutzen.

Wie viele Paketboxen-Stationen wird es in 5 bis 10 Jahren in Deutschland geben?

Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Paketstationen überproportional zu den Shops wachsen wird. Einzelne Szenarien zeigen, dass auf 1000 Einwohner eine Paketstation kommen könnte. Damit kämen wir in Deutschland auf etwa 80.000 Paketstationen. Erreicht haben wir davon bislang etwa ein Viertel. Szenarien in anderen Ländern rechnen gar mit 500 Einwohnern je Paketstation. Es gibt auch Überlegungen, mobile Paketboxen aufzustellen, die dann nachts wieder ins Depot fahren. An kreativen Konzepten fehlt es also nicht. Wir glauben: Die Entwicklung zur Paketbox ist nicht aufzuhalten und es wird sicherlich unterschiedliche Systeme geben.

Kleinere Anbieter wie die österreichische Myflexbox drängen mit eigenen, anbieteroffenen Paketboxen auch auf dem deutschen Markt . Wie wird er sich aufteilen?

In der Tat drängen einige neue Boxenanbieter auf den Markt. Zu deren Kunden zählen die schon genannten Immobiliengesellschaften oder große Paketnetzwerke, denen sie ebenfalls ihre Boxen verkaufen. Die Anbieter können aber auch eigene Standorte erschließen, finanzieren und wie Myflexbox allen großen Zustellern zugänglich machen. Schließlich gibt es Akteure wie InPost, die in Polen  starteten und nun auch in anderen europäischen Ländern aktiv sind. Deren Strategie ist es, so viele Boxen aufzustellen, dass sie am Ende in der Lage sind, ihren Service flächendeckend den Händlern direkt anzubieten. Auf diese Weise können Paketdienstleister ohne eigene Boxennetze sogar zu Subunternehmern werden für die Sammlung und Sortierung oder ganz verschwinden. Der wachsende Markt für Paketboxen wird also sehr unterschiedliche Spielarten aufweisen.

4,2 Milliarden Paketzustellungen gab es 2022 in Deutschland, 75 Prozent davon gingen an private Empfänger. Schwer vorstellbar, dass Paketboxen dieses Volumen bewältigen können.

Das erwartet auch niemand, die Hauszustellung wird nicht wegfallen, aber ihr Anteil von derzeit etwa 80 Prozent wird deutlich sinken. Auch wird es weiter Paketshops geben oder die Zustellung am Arbeitsplatz. Für Spitzenlastzeiten wie zu Weihnachten bleiben Alternativen wichtig.

Ist der Markt für Paketboxen groß genug für alle neuen und alten Spieler wie DHL?

Der Markt wird sich konsolidieren, und ein paar Große werden dann überleben. Mit Blick auf die Technik sehe ich das ein wenig so wie bei den Anbietern von Leergutautomaten. Da gibt es Tomra  und noch ein oder zwei andere Akteure, die letztlich den Markt dominieren. Ähnlich könnte die Entwicklung bei Paketboxen-Anbietern verlaufen, wobei sie auch stark kostengetrieben sein dürfte.

„Der Markt wird sich konsolidieren, ein paar Große werden überleben.“

Sven Rutkowsky

Der Aufbau eines Paketboxen-Netzwerkes wird viel Geld kosten. Mit welchem Investitionsbedarf in Deutschland rechnen Sie? Wer vor allem wird das finanzieren?

Für Deutschland gehen wir bei einer maximalen Durchdringung von mehr als 400 Millionen Euro Investitionsbedarf in den nächsten 5 Jahren aus. Auf europäischer Ebene dürften es mehr als 2 Milliarden Euro sein. Das ist schon ein erhebliches Investitionsvolumen. Dabei zeigen vor allem Infrastrukturfonds Interesse, in Paketboxen in großem Stil zu investieren. Ein solches Infrastrukturgeschäft ist für deren Finanzierer, die Pensionskassen, wegen der gut zu kalkulierenden und stetigen Einnahmen interessant.

Zurück zur Ausgangsthese: Paketboxen senken die Kosten auf der letzten Meile. Wenn der Marktführer 3,99 Euro für die Hauszustellung eines 2-Kilogramm-Päckchens verlangt, wie viel weniger bezahle ich in Zukunft für die Lieferung an eine Paketbox?

(lacht) Das ist eine spannende Frage, aber eine Schlagzeile mit einer konkreten Zahl kann ich Ihnen nicht liefern. Wir erwarten schon bald eine Preisdifferenzierung zwischen Paketdienstleistern und Versendern. Einer der großen Paketdienstleister sagte uns, es sei nur eine Frage der Zeit, bis diese Differenzierung flächendeckend kommt.

Was heißt das genau?

Einige Händler und Plattformen wie Shein oder Vinted nehmen schon heute höhere Preise für die Haustürzustellung, obwohl sie selbst noch gar nicht mehr zahlen. Umgekehrt werden nicht alle Händler den Zuschlag an den Konsumenten weitergeben, das kennen wir von den Retouren. Wir glauben aber, dass wir rasch auf breiter Basis differenzierte Endkundenpreise sehen werden. Welcher Betrag beim Aufteilen der Ersparnis beim Verbraucher tatsächlich ankommt, dazu wage ich jetzt keine Prognose. Dass die Preise über alle Zustelloptionen im Mittel effektiv sinken, ist eher nicht zu erwarten.

rei