Der übergriffige Staat

Der übergriffige Staat

Alle reden von Bürokratieabbau und wir machen mehr Bürokratie! Auch so könnte man diesen Artikel überschreiben. Oder vielleicht auch nur „Anlage 8“. Wie weit der Staat inzwischen in Wirtschaft und Gesellschaft mit Vorgaben eindringt und Selbstverständlichkeiten regelt, zeigt exemplarisch die Filmförderung in Deutschland. Gerade in dieser Branche arbeiten viele Kreative und Freiheitsliebende, die sich angesichts der Details der Vorschriften fragen müssen, ob ihnen nicht jegliche Eigenverantwortung abgesprochen wird. Welche Zuwendungen Filmemacher erhalten, regelt die Richtlinie des Deutschen Filmförderfonds. Es ist das gute Recht des Staates hier Vorgaben zu machen. Es stellt sich die Frage, was auf mehr als 50 Seiten Richtlinie geregelt werden muss.  

Bestandteil der Richtlinie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ist auch die Anlage 8 „Ökologische Standards für deutsche Kino-, TV- und Online-/VoD-Produktionen“. Es ist richtig, dass die Förderung von Filmen auch an Ökologische Standards geknüpft wird. Wer diese allerdings liest, wird sich schnell über die Regelungstiefe die Augen reiben. Den Akteuren aus der Filmbranche wird offenbar unterstellt, dass sie es selbst nicht wissen, wie sie bei der Produktion mit Ressourcen pfleglich umzugehen haben. Es gibt in der im Februar 2024 erschienenen Richtline neben Soll-Vorgaben auch sogenannte Muss-Vorgaben, die einer Nachweispflicht unterliegen. „Sollte es im begründeten Ausnahmefall nicht möglich sein, alle Muss-Vorgaben einzuhalten, sind pro Produktion höchstens bei fünf, ab dem 1.Juli.2024 bei drei der insgesamt 21 Muss-Vorgaben Abweichungen zulässig. Zu den Muss-Vorgaben zählt u.a., dass „entweder ein*e externe*r Green Consultant oder ein*e Mitarbeiter*in, der/die zum Green Consultant ausgebildet ist, beschäftigt werden muss. Sie begleiten die jeweiligen Produktionen von der Planung bis hin zur Abnahme“, heißt es.  

„Selbst der Einsatz von Klopapier ist geregelt“ 

Nachstehend einzelne Maßnahmen, die beachtet werden müssen, im Detail: Vor Beauftragung der Produktion bzw. vor dem Antrag bei der Filmförderung muss mit Hilfe des CO2 -Rechners eine Erfassung der geplanten CO2 -Emissionen durchgeführt werden. Weitere Bestimmungen befassen sich mit dem Energieeinsatz und – Nutzung, der Personen- und Materialtransporte, der Unterbringung und Verpflegung und dem Materialeinsatz und -Nutzung. Geregelt ist der Einsatz von Klopapier und Papierhandtüchern, die aus Recycling-Papier mit einem Altfaseranteil von mindestens 90 % zu nutzen sind. Natürlich fehlen nicht Trennvorgaben für die Müllsortierung an jeder Produktionsstätte, in allen Studios und in sämtlichen genutzten Büros. Make-Up-Produkte, die bekanntlich bei den Darstellern eine wichtige Funktion haben, sollen kein Mikroplastik enthalten. „Kostüme sollen mehrfach verwendet werden.“ „Wo es sich eignet, sollen Protagonist*innen vor der Kamera nach Absprache die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Kleidung zu verwenden. Auf den Kauf von Fast-Fashion und Discounter-Kleidung soll verzichtet werden“. Ebenfalls dürfen während der ganzen Produktion sowohl am Set als auch in den Produktionsbüros und Studios keine Einwegbatterien genutzt werden. Das Team muss zu Drehbeginn von der Produktion über die ökologisch ausgerichtete Verpflegungswahl informiert und unter anderem durch eine Befragung zum Thema Fleischkonsum in diese Auswahl eingebunden werden“. Das „mindestens an einem Tag pro Woche bei externem, separatem Catering das Essensangebot rein vegetarisch sein“ muss, ist wohl noch ein Überbleibsel der legendären Veggie-Day Debatte der GRÜNEN. Bei der Verwendung von Lebensmitteln oder Bio-Lebensmitteln müssen mindestens 50 Prozent und ab 2025 Prozent regionaler Herkunft sein. Hier gilt ein Radius im Umkreis von 150 km vom jeweiligen Produktionsort. Mindestens 50 Prozent der Übernachtungen in Apartments/Ferienhäusern oder Hotels müssen mit ausgewiesenen Umweltmaßnahmen gebucht werden, soweit diese im Umkreis von 15 Kilometern zur Produktionsstätte zur Verfügung stehen. Geregelt ist auch der Einsatz emissionsarmer PKW, Minibusse, Transporter und kleiner LKW. Um die Mobilität zu reduzieren, sollten Produktions- oder Drehorte bevorzugt werden, die mit der Bahn/dem ÖPNV erreichbar sind bzw. über geeignete Unterbringungsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe verfügen.  

Nach Abschluss der Produktion muss das Produktionsunternehmen auf der Grundlage einer standardisierten Vorlage einen Abschlussbericht erstellen.  

Ich will die guten Absichten der Verfasser, die sicher in mehreren Arbeitssitzungen die Regeln zusammengestellt haben, nicht diskreditieren. Aber wer einer ganzen Branche die Eigenverantwortung, wirtschaftliches Handeln mit ökologischer Verantwortung zu verbinden, abspricht, sollte sich nicht wundern, wenn der Staat die eigene Gesellschaft unfrei macht. Gerade die Filmwirtschaft steht angesichts der Künstlichen Intelligenz vor gewaltigen Herausforderungen und Umbrüchen. Bleibt zu hoffen, dass die Anlage 8 der Filmförderung dem deutschen Film nicht gänzlich die Luft zum Atmen nimmt. 


Franz-Reinhard Habbel ist Speaker, Publizist & DStGB-Beigeordneter a.D. Er schreibt als Mitherausgeber von KOMMUNAL Kolumnen zur Digitalisierung und zur Transformation. Zugleich ist er Herausgeber des ZMI-Newsletters für Kommunalpolitiker:innen und produziert gemeinsam mit Michael Lobeck den Podcasts City-Transformer. Eines seiner Ziele ist es, Debatten anzustoßen und Mut zur Veränderung zu machen. 

Solange die Politik und die Ministerialbürokratie ernsthaft glauben, allein durch Gesetze die Welt verändern zu können, wird sich daran nichts ändern. Diese Annahme ist ähnlich naiv wie der Glaube an den ewigen Frieden in Deutschland. Gesetze werden nicht rückabgewickelt, sondern ständig erweitert und verfeinert. Aus meiner persönlichen Sicht lässt sich der Umgang mit der deutschen Bürokratie (zumindest im Bereich der Digitalisierung - da kenne ich mich aus) folgendermaßen zusammenfassen: 1. Problem wird erkannt und benannt: Für Politik und Verwaltung scheint es nur eine Lösung zu geben: ein neues Gesetz. 2. Gesetzeserstellung: Das Gesetz wird erstellt, wobei fachliche Anhörungen weitgehend ignoriert werden. Oft verschlimmert die Politik das Gesetz noch weiter. 3. Überwachung und Dokumentation: Da kein Geld für die Überwachung des Gesetzes vorhanden ist, werden umfangreiche Dokumentationspflichten dem Bürger und den Unternehmen auferlegt. 4. Ergebnis: Tatsächlich ändert sich nichts an der Problematik. Stattdessen steigt die Bürokratie sowohl in der Verwaltung als auch bei den Unternehmen.

Like
Reply
André Claaßen

Mr OKR | Lean OKR Expert & Trainer with ❤️ | Mantra: Ziele setzen 🎯, Ziele erreichen ✅!

2w

Die Frage ist, warum wir nach gefühlten 30 Jahren Verwaltungsvereinfachung, Modernisierungsgesetzen und Aufgabenkritik so wenig Fortschritte machen. Woran liegt es? Der systemische Grund ist mir klar, zumindest so klar, wie Herrn Parkinson, aber was wäre das Korrektiv?

Like
Reply
Christian Georg Behrendt

Managing Partner Strategy, People, Controlling.

2w

Keine Führung - keine Transparenz und damit keine Verantwortung ausser für sich selbst. Das ist kein Vorwurf, nur ein Erfahrungsbericht. Es gilt also die führungsverantwortlichen daran zu erinnern, daß Verwaltung dem in Art 1 GG beschriebenen Menschen zu DIENEN hat und in der Mitte der Gesellschaft zu sein hat.

Christian Georg Behrendt

Managing Partner Strategy, People, Controlling.

2w

Warum sollte es der Verfasser dieser ökologischen Vorschriften gut meinen? Gut ist gar keine Kategorie in der Verwaltung. Es geht um die Umsetzung von Vorgaben der nächsthöheren Stelle. Auch die Frage der Sinnhaftigkeit oder auch nur Praktikabilität kann von der verordnungsgebenden Stelle gar nicht beantwortet werden, da deren Spielraum höchstwahrscheinlich entweder sehr gering ist oder als sehr gering angenommen wird. Daher ist eine solche Verordnung einzig und allein sorgfältig und im Sinne der Vorgabe konsequent umgesetzt. Und nur danach wird in der Ministerial/oder anderen Verwaltung die Arbeit der Mitarbeiter bewertet und Karrieren gefördert. Seit dem Ende des pragmatischen Wiedervereinigungsjahrzehnts und der Erholung der Verwaltung vom Schock der Revolution (im Osten wegen des totalen Umsturzes und im Westen wegen des ungläubigen Staunens, daß Teile des Volkes tatsächlich erfolgreich gegen die Verwaltung rebellieren, was nicht mal 1945ff so war) scheinen die Fähigkeiten oder der Wille der politisch verantwortlichen Staatssekretäre und Minister zur Steuerung der Verwaltung dramatisch gesunken zu sein. Also verselbständigt sich ein solcher Organismus wie Verwaltung.

Like
Reply

To view or add a comment, sign in

Explore topics