Digitalisierung muss strategischer Kern künftiger Regierungsarbeit sein
Die Digitalisierung nimmt im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD einen prominenten Platz ein. Sie bildet neben der Staatsmodernisierung eine wichtige Grundlage, um die Handlungsfähigkeit des Staates auch in Zukunft sicherzustellen. Es ist erfreulich, dass das neu zu schaffende Ministerium auch die Staatsmodernisierung und den Bürokratieabbau umfasst. Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung müssen zusammen gedacht werden. Nur so kann der notwendige Umbau des Staates gelingen.
"Grundlegende Strukturreformen sind eine Gelingensbedingung für den Erfolg unserer Regierung. Wir erarbeiten in 2025 eine ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung, durch die wir unter anderem die Bundesverwaltung ressortübergreifend modernisieren, einen Effizienzfonds einführen und unseren Staat insgesamt von den Bürgerinnen und Bürgern her denken", heißt es in der Vereinbarung.
Viele dieser Maßnahmen sind nicht neu. Was der Vertrag aber deutlich macht, ist der unbedingte Wille, die Verwaltung zu modernisieren, sie effizienter und serviceorientierter zu machen.
So finden sich das Digital-Only-Prinzip, eine zentrale Plattform (One-Stop-Only), ein verpflichtendes Bürgerkonto, die digitale ID und das EUDI-Wallet als Standards wieder. Wer den digitalen Weg nicht gehen will oder kann, bekommt Hilfe vor Ort. Ziel der neuen Koalition ist eine Verwaltungskonsolidierung, die Aufgabenkritik, Personaleinsparungen und Verwaltungsreform beinhaltet. Der Personalbestand in der Ministerial- und Bundestagsverwaltung soll um acht Prozent reduziert werden. Außerdem soll die Zahl der derzeit 950 Bundesbehörden durch Zusammenlegung und Abbau von Redundanzen verringert werden. Erfreulich ist die Absicht, standardisierbare Aufgaben wie Personal, IT, Datenschutz, Vergabe und Beschaffung sowie Compliance und übergreifende Kommunikationsmaßnahmen in leistungsfähigen gebündelten Serviceeinheiten zusammenzufassen. Die in der Verwaltung vorhandenen Daten sollen stärker genutzt werden, insbesondere für KI-Anwendungen, die das Verwaltungshandeln künftig wesentlich prägen werden. Die föderalen Beziehungen sollen durch einen Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen neu geordnet werden. Ein interoperabler und europäisch anschlussfähiger Sovereign Germany Stack soll KI, Cloud-Dienste und Basiskomponenten integrieren.
Neu ist die Einführung einer antragslosen Verwaltung. Sie entwickelt sich zu einem Megatrend, der bereits international diskutiert wird.
Eltern sollen zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes automatisch einen Kindergeldbescheid erhalten. Dies setzt eine Modernisierung der Register voraus. Um diese neuen Möglichkeiten zu beschleunigen, sollte der Bund zügig erste Fälle identifizieren und schnell die Voraussetzungen für eine antragslose Abwicklung schaffen. Der Bund sollte Bürokratieabbau im Rahmen eines Verwaltungsdigitalisierungsgesetzes betreiben, in dem z.B. alle rechtlichen digitalen Elemente gebündelt werden. Ein solches "digitales Gesetzbuch" könnte für die digitale Welt eine ähnliche Wirkung entfalten wie die Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 1. Juli 1896.
Wichtig wird es sein, die im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen und Möglichkeiten der Digitalisierung in alle Ressorts und damit in die gesamte Bundesverwaltung zu tragen und dort mit Leben zu füllen. Die Verwaltung muss künftig schneller, zielgerichteter und wirkungsorientierter arbeiten. Politik wirkt nur, wenn sie schnell umgesetzt wird. Das gilt zum Beispiel für das 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturpaket. Neue Arbeitsformen, flache Hierarchien und die Einbindung von IT-Unternehmen, aber auch von Kommunen und Experten der Zivilgesellschaft in die Arbeit des neuen Bundesministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung sind dringend notwendig. Reallabore, Sandboxes und andere Experimentierräume könnten in diesem Ministerium zur Startrampe für neues, modernes, vernetztes Regierungshandeln werden. Digitalisierung ist der strategische Kern künftigen Regierungshandelns. Der neue Bundeskanzler sollte sich als "Digitalminister" verstehen und damit seiner Führungsverantwortung gerecht werden.
Letztlich geht es um die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die kommenden Jahre werden uns angesichts zu erwartender weiterer geopolitischer Verwerfungen und Neuorientierungen viel abverlangen. Auch ein Koalitionsvertrag ist keine Steintafel, die nicht mehr verändert werden kann. Verantwortung für Deutschland zu übernehmen, den Mut zu haben, das Richtige und Notwendige zu tun, sich Veränderungen zu stellen und sich neu aufzustellen, sollte die zentrale Grundlage der künftigen Regierungsarbeit sein. Das Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Es sollte mit gutem Beispiel vorangehen und nicht selbst als erste eine eigene Z-Abteilung gründen, sondern hier auf zentrale Serviceeinheiten setzen bzw. mit anderen Ressorts sprechen, wie so etwas gemeinsam gemacht werden kann. Das neue Ministerium kann zur Quelle eines modernen Regierungshandelns werden, in dem neue Formen der Kooperation und Zusammenarbeit, der Aufgabenbündelung und des Einsatzes von modernen Kommunikationsinstrumenten für die strategische Ausrichtung des Staates in einem vernetzten Europa praktiziert werden.
Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die vor uns liegen, gilt es, groß zu denken und mehr Mut zu haben, Neues auszuprobieren. Es ist vielleicht die letzte Chance, das traditionelle Verwaltungshandeln hinter uns zu lassen. (Franz-Reinhard Habbel)